Montag, 22. Januar 2024

Über Ausbeutung

Dialogische Mitteilungen aus Wittenberg Nr. 7 aus 24 vom 22.1.2024 

Gespräch mit Dr. Wilhelm Rettler

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Der Gebrauch des Wortes Ausbeutung ist allgemein und in den Medien zurückgegangen. Von Ausbeutung wird noch bei unzumutbaren Arbeitsverhältnissen, Verstößen wegen Arbeitsschutzbestimmungen oder Unterlaufen der gesetzlichen und tariflichen Mindestlöhne, kurz bei exzessivem Verhalten des Kapitalisten gesprochen. Den Ausdruck Arbeitgeber verwenden wir bewusst nicht, weil es doch der Arbeiter ist, der seine Arbeit gibt. Herr Dr. Rettler ist der Auffassung, dass über die Exzesse hinaus die Ausbeutung in unserer Gesellschaft weit verbreitet ist. Die Einsicht sprach darüber mit Herrn Rettler.

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Die Einsicht: Herr Rettler, ist Ausbeutung in Arbeitsverhältnissen der Normalzustand?

Herr Rettler: Ja, das ist richtig.

Die Einsicht: Aber die meisten Beschäftigten, zumal diejenigen, die einen guten Lohn erhalten, empfinden das doch nicht so.

Herr Rettler: Das mag sein, aber Ausbeutung ist nichts Subjektives, sondern das Ergebnis eines ökonomischen Gesetzes, das Karl Marx entdeckt hat. Dieses Gesetz ist die Mehrwerttheorie.

Die Einsicht: Können Sie uns diese Theorie erklären?

Herr Rettler: Die Mehrwerttheorie ist kompliziert. Ich kann nur eine vereinfachte Darstellung geben.

Die Einsicht: Na, dann fangen Sie mal an.

Herr Rettler: Im Kern geht es um die Frage, wie der Kapitalist es schafft, im Produktionsprozess mehr Werte herzustellen, als er vorher hineingesteckt hat. Niemand würde doch Geld investieren, wenn er nicht hinterher nicht seine Produkte zu einem höheren Preis verkaufen könnte.

Die Einsicht: Das leuchtet ein. Wo kommt der Gewinn her?

Herr Rettler: Vor Marx dachten die Ökonomen, der Kapitalist würde von den Arbeitern die Arbeit kaufen. Auf dieser Grundlage war der Mehrwert nicht erklärbar. Marx fand heraus, dass der Kapitalist den Arbeitern nicht die Arbeit abkauft, sondern ihre Arbeitskraft. Der Wert der Arbeitskraft bestimmt sich wie der Wert jeder Ware danach, was zu ihrer Herstellung notwendig ist. Für die Ware Arbeitskraft ist das der Betrag, den der Arbeiter für sich und seine Familie zum Leben braucht. Das besondere der Ware Arbeitskraft besteht darin, dass sie Werte schafft. Sie ist die einzige Ware, die so etwas kann.

Die Einsicht: Können Sie ein Beispiel dafür sagen?

Herr Rettler: Nehmen wir an, der Kapitalist lässt ein Produkt X herstellen. Er kauft dafür Rohstoffe für 100,- Euro und setzt einen Arbeiter, den er mit 50,- Euro bezahlt, ein. Angenommen der Arbeiter arbeitet zehn Stunden. Das Produkt verkauft der Kapitalist für 200,- Euro. Der Mehrwert, der dem Kapitalisten zufließt, beträgt 50,- Euro.

Die Einsicht: Ist das denn nicht Betrug gegenüber dem Arbeiter?

Herr Rettler: Nein, der Kapitalist bezahlt dem Arbeiter das, was seine Arbeitskraft wert ist.

Die Einsicht: Ist es denn immer so, dass der Kapitalist beim Kauf der Ware Arbeitskraft ein gutes Geschäft macht?

Herr Rettler: Nein, stellen Sie sich mal vor, es kommt in einem Betrieb zum Stillstand der Produktion, etwa weil die Stromversorgung ausfällt. Dann muss der Kapitalist nach deutschem Arbeitsvertragsrecht den Arbeiter bezahlen, obwohl er nicht arbeiten kann. Das ist ein Ausnahmefall. In der Regel erzielt der Kapitalist bei der Beschäftigung von Arbeitern Mehrwert und eignet sich so die Ergebnisse fremder Arbeit an.

Die Einsicht: Kann man so etwas denn auch als Ausbeutung bezeichnen?

Herr Rettler: Ausbeutung ist für mich kein moralisches Unwerturteil, sondern eine ökonomische Bewertung. Weil unsere Gesellschaft auf der Aneignung der Produkte fremder Arbeit beruht, finde ich die Bezeichnung Ausbeutergesellschaft richtig.

Die Einsicht: Herr Rettler, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

Montag, 15. Januar 2024

Für das vernünftige Leben

Dialogische Mitteilungen aus Wittenberg Nr. 6 aus 24  vom 15.1.2024

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Gespräch mit Heinz Weber, Torgau

Seid dem Frühjahr 2023 verwenden Kommunisten aus Sachsen und Thüringen die Grußformel „Für das vernünftige Leben“. Darüber, was damit bezweckt ist, sprach die Einsicht mit Herrn Weber. (Name von der Redaktion geändert)

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Die Einsicht: Herr Weber, wie dürfen wir die Grußformel „Für das vernünftige Leben“ verstehen?

Herr Weber: Wir Kommunisten treten für eine Gesellschaft ein, in der alle Menschen ein vernunftorientiertes Leben führen können.

Die Einsicht: Was hat die Formel mit dem Satz von Hans Heinz Holz, der über jeder Einsicht steht, zu tun?

Herr Weber: Inhaltlich sehr viel. Die Übereinstimmung ist aber zufällig.

Die Einsicht: Ja, die Einsicht gab es schon ein paarmal in den Nuller Jahren, da stand immer in der Kopfzeile der Satz, dass der Kampf um die Befreiung des Menschen in Kampf um die Herstellung vernunftgeleiteter Selbstbestimmung ist.

Herr Weber: Von dieser Einsicht wussten wir nichts.

Die Einsicht: Wo ist ein vernünftiges Leben möglich?

Herr Weber: In einer Gesellschaft, in der Frieden herrscht, alle Menschen Arbeit haben, wo die Wohnungsnot beseitigt ist und somit keine Obdachlosigkeit herrscht, wo die Medien ihre Aufgabe darin sehen, die Bevölkerung sachlich zu informieren anstatt zu manipulieren. Ich wünsche mir eine Gesellschaft, in der man solidarisch oder, wie es die Christen formulieren, nach dem Gebot der Nächstenliebe leben kann.

Die Einsicht: Schwebt Ihnen da die DDR vor?

Herr Weber: Durchaus, aber dass die von mir genannten Punkte in der DDR verwirklicht waren, das versucht man heute aus dem Bewusstsein der Menschen zu verdrängen, indem man so tut, als hätte die DDR nur als „Stasi“, was schon ein pejoratives Kürzel (Wort mit herabsetzender Nebenbedeutung) ist, bestanden. Ich will das Ministerium für Staatssicherheit nicht in den Himmel heben, aber die totale Verteufelung der DDR entbehrt jeder Grundlage.

Die Einsicht: Gibt es denn ein vernünftiges Leben im Kapitalismus?

Herr Weber: Die ökonomischen Gesetze des Kapitalismus verlangen von den Menschen, sich egoistisch zu verhalten, um nicht selbst unterzugehen. Dieses Verhalten könnte man als pseudovernünftig bezeichnen. Es ist die Vernunft des Kapitalisten, der seine Arbeiter ausbeuten und seine Konkurrenten kaputt machen will. Die ökonomischen Gesetzte zwingen die Menschen, sich unmoralisch zu verhalten.

Die Einsicht: Ist also ein vernünftiges Leben im Kapitalismus unmöglich?

Herr Weber: Kommunist zu sein, ist schwierig. Mit Nachteilen muss man immer rechnen. Dieser Druck kann zu selbst auferlegten Beschränkungen führen. Wenn man es aber schafft, nach dem Satz, wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt, zu leben, der nimmt auch durch den antikommunistischen Druck keinen Schaden. In der aktuellen Situation des staatsmonopolistischen Systems mit dem reaktionär-militaristischen Staatsumbau stehen wir für die Einhaltung der UN-Charta, welche 193 Staaten unterschrieben haben, und die in der jetzigen Zeit vor allem von den ab 1.1.2024 zehn BRICS Staaten eingefordert wird. Wir stehen für den Kampf um umfassende gesellschaftliche demokratische Rechte und Freiheiten, für grundlegende Veränderungen des Gesellschaftssystems, für eine Gesellschaft ohne Repressionen, Unterdrückung und Ausbeutung,

Die Einsicht: Herr Weber, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

Herr Weber: Ich danke Ihnen dafür, dass Sie mir die Gelegenheit gegeben haben, Ihnen unsere Positionen darzulegen.

Montag, 8. Januar 2024

Begriff und Meinungsmanipulation

 Dialogische Mitteilungen aus Wittenberg Nr. 4 aus 24 vom 9.1.2024

 Gespräch mit Prof. Dr. Emil Großhans, Bochum 1

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In der Einsicht vom 7.1.2024 haben wir mit Prof. Großhans über die Begriffsvertauschung gesprochen. Hierzu erreichte uns folgende Zuschrift von Herrn Karl-Heinz Holderberg aus Bledt 2 : „Ich habe Schwierigkeiten mit der Begriffsvertauschung. Was ein Synonym und was ein Homonym ist, habe ich verstanden, was aber ist ein Begriff?“ Darüber sprach die Einsicht mit Herrn Großhans.

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Die Einsicht: Herr Großhans, im Zusammenhang mit der Begriffsvertauschung fragt unser Leser Karl-Heinz Holderberg danach, was ein Begriff ist.
 
Herr Großhans: Eine ausgezeichnete Frage. Wie ich zuletzt festgehalten habe, wird die Begriffsvertauschung in den Schulen und Universitäten nicht gelehrt. Mit dem Wort Begriff ist es so: wenn es in den Medien benutzt wird, dann in mindestens über 95% aller Fälle falsch. Dieser massenhafte Falschgebrauch dient Manipulationszwecken oder ist auf Unverständnis zurückzuführen.

Die Einsicht: Jetzt geht es uns wie Herrn Holderberg. Wir bitten um weitere Erklärung.

Herr Großhans: In den Medien wird das Wort Begriff als Synonym für Wort oder Ausdruck verwendet. Richtigerweise ist aber Begriff das von einem Wort Gemeinte, ein Gedankengebilde. Das Wort ist ein Zeichen des Begriffs, selber aber kein Begriff.

Die Einsicht: Sind das nicht übertriebene Feinheiten?

Herr Großhans: Nehmen Sie mal an, vor Ihnen läge ein Apfel, daneben das Bild eines Apfels. Kämen Sie auf die Idee, in das Bild zu beißen? Wer das Wort Begriff für ein Synonym für Wort hält, kann die Begriffsvertauschung nicht verstehen. Die wäre dann gleichbedeutend mit Wortvertauschung, das passt nicht, da werden nämlich nicht Wörter, sondern Bedeutungen = Begriffe vertauscht.

Die Einsicht: Können Sie noch Beispiele nennen?

Herr Großhans: Suchbegriff statt Suchwort, Kampfbegriff statt Kampfausdruck. Fachbegriff statt Fachausdruck. Schon im Kinderfernsehen wird der Falschgebrauch des Wortes Begriff propagiert. Nehmen Sie die Sendung dingsda. Da wird gefragt: „Welchen Begriff suchen wir?“ Gemeint ist natürlich ein Wort und kein Begriff.

Die Einsicht: Wie haben Sie den Falschgebrauch des Wortes Begriff herausgefunden?

Herr Großhans: Der Falschgebrauch des Wortes Begriff ist keine Entdeckung von mir. Er ist bei Wikipedia nachzulesen. Eingeweihten ist er bekannt. In Kultusministerien, Universitäten, Schulen und Zeitungsredaktionen sitzen zig-Tausende, ja vielleicht Hunderttausende hochqualifizierte Germanisten und Journalisten, die täglich die deutsche Sprache beobachten. Da muss doch der Falschgebrauch des Wortes Begriff längst aufgefallen sein. Wenn der Falschgebrauch des Wortes Begriff nicht von höchster Stelle beanstandet wird, beispielsweise durch die Gesellschaft für deutsche Sprache, dann gibt es dafür nur die Erklärung, dass das Volk dumm gehalten werden soll und Begriffsvertauschungen nicht erkannt werden sollen.

Die Einsicht: Herr Großhans, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.


Freitag, 5. Januar 2024

Begriffsvertauschung und Meinungsmanipulation

 Dialogische Mitteilungen aus Wittenberg vom 04. 01. 2024

Gespräch mit Dr. phil. Emil Großhans, emeritierter Professor für Linguistik, Bochum (1)

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Die Medien werden heute zu Recht als vierte Gewalt im Staate bezeichnet. Nicht selten missbrauchen sie ihre Macht, um das Volk zu manipulieren, das heißt ihren Konsumenten Gedanken einzuflößen, die ihren Interessen widersprechen. Heute wollen wir die Begriffsvertauschung behandeln.

Noam Chomsky: 

"In kapitalistischen Demokratien ist die politische Macht in einem Spannungsfeld angesiedelt. Demokratie heißt im Prinzip Herrschaft des Volkes. Aber die Entscheidungsbefugnisse über zentrale Bereiche des Lebens liegt in privaten Händen, was weitreichende Auswirkungen auf die gesamt Gesellschaftsordnung hast." (vgl. Literaturempfehlung, Vorwort)

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Die Einsicht: Herr Großhans, was ist eine Begriffsvertauschung?

Herr Großhans: Die Begriffsvertauschung ist der wohl bedeutendste aller Trugschlüsse.

Die Einsicht: Können Sie uns ein Beispiel sagen?

Herr Großhans: Herr Weber hat doch in der Einsicht vom Nr. 1.2024 ein Beispiel mit Verwendung des Ausdrucks Demokratie gebracht.

Die Einsicht: Aber wie funktioniert die Begriffsvertauschung?

Herr Großhans: Da muss ich ausholen. Was eine Begriffsvertauschung ist, lernt man aus durchsichtigen Gründen weder auf der Schule noch auf der Universität.

Die Einsicht: Warum nicht?

Herr Großhans: Die Herrschenden wollen nicht, dass die Menschen die Meinungsmanipulation durch Begriffsvertauschung durch erkennen.

Die Einsicht: Dann holen Sie bitte aus.

Herr Großhans: Ich muss zunächst die Bedeutung zweier Wörter klären. Da ist zunächst das Wort Synonym. Es ist bezeichnet ein Wort, das gleichbedeutend mit einem anderen Wort ist. Ein Synonym für Wort ist beispielsweise Ausdruck. Das Gegenteil des Synonyms ist das Homonym, ein Wort mit mehreren Bedeutungen, Beispiel Leiter oder Mutter.

Die Einsicht: Wir sehen noch nicht, was das uns der Begriffsvertauschung näherbringen soll.

Herr Großhans: Die Begriffsvertauschung funktioniert mit Homonymen. Ein logischer Trugschluss mit einem Homonym könnte wie folgt lauten: Ich habe im Baumarkt eine Mutter gekauft. Eine Mutter ist ein weiblicher Mensch, Trugschluss: ich habe einen weiblichen Menschen gekauft.

Die Einsicht: Aber mit sowas kann man doch niemanden übertölpeln.

Herr Großhans: Das Beispiel zeigt die Funktionsweise der Begriffsvertauschung. Setzten Sie mal für das Wort Mutter das Wort Demokratie ein. Wem ist schon bewusst, dass „Demokratie“ dem Wortsinn nach Herrschaft des Volkes bedeutet. Dagegen wird es von den Herrschenden heute im Sinne „Parlamentssystem“. Man kann aber mit guten Gründen bezweifeln, ob dieses System dem Volkswillen zur Geltung verhilft. Je mehr die unterschiedlichen Bedeutungen eines Wortes beieinander liegen, desto schwerer ist es, eine Begriffsvertauschung zu erkennen. Wen überzeugt der Trugschluss, bei uns hat das Volk die Macht, weil wir in einer parlamentarischen Demokratie leben, nicht, wenn er nicht weiß, was eine Begriffsvertauschung ist.

Die Einsicht: Herr Großhans, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

Herr Großhans: Ich möchte noch etwas nachtragen. Der lateinische Ausdruck für Begriffsvertauschung ist quaternio terminorum. Damit kann man vielleicht den Gegner beeindrucken.

Die Einsicht: Danke für diesen Hinweis.

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Anmerkung 1: Name und Ort von der Redaktion geändert.

Anmerkung 2: Werbung: Der geneigte Leser wird gebeten, den folgenden Link anzuklicken www.VdOdW.de. Dort werden die ersten beiden Bände des Werkes von Günter Pohl, Von der Ordnung der Welt, vorgestellt. Sie sind zum Verschenken und Selberlesen hervorragend geeignet und sehr schön ausgestattet.

Literaturempfehlung: Chomsky, Noam: Media Control - Wie die Medien uns manipulieren. Nomen Verlag, Frankfurt a. M. 2018 (22. Auflage 2022)

Mittwoch, 3. Januar 2024

Falschwort Antisemitismus?

 Dialogische Mitteilungen aus Wittenberg vom 20.12.2023

Gespräch mit Dr. phil. Emil Großhans, emeritierter Professor für Linguistik, Bochum

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Zunächst war ein Interview mit Herrn Pfarrer Dipl. Päd. Hartwig Müller vom Evangelischen Studienkreis Bad Drieburg vorgesehen. Bedauerlicherweise nahm Herr Müller von seiner Interviewzusage Abstand, nachdem er vom Titel „Falschwort Antisemitismus“ erfahren hatte. Er wolle sich nicht für ein antisemitisches Machwerk hergeben. Herr Professor Großhans hat sich erfreulicherweise bereit erklärt, den Part des Herrn Müller zu übernehmen.

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Die Einsicht: Herr Großhans, sind Sie ein Antisemit?

Herr Großhans: Ich bin ein entschiedener Gegner von Judenfeindlichkeit und Judenhass.

Die Einsicht: Herr Müller vom Evangelischen Studienkreis Bad Drieburg hat unser Thema als antisemitisch bezeichnet.

Herr Großhans: Herr Müller weiß nicht, wovon er redet. Er weiß offenbar nicht einmal, was ein Falschwort ist.

Die Einsicht: Können Sie das erklären?

Herr Großhans: Da muss ich ausholen. Ein Wort (Hauptwort) ist ein Zeichen, welches durch willkürliche Bestimmung mit einem Begriff, d.h. seiner Bedeutung, verbunden ist. Es gibt mehrere Arten von Falschwörter. Bei dem Wort Antisemitismus liegt ein Fall des Widerspruchs zwischen Wortsinn und Wortbedeutung vor. „Anti“ ist lateinisch und bedeutet gegen. „Semitismus“ kommt von Semiten. [vgl. Anmerkung-1] Der Antisemitismusforscher Bergmann führt aus, dass mit dem Teilwort Semitismus bei Schaffung des Ausdrucks Antisemitismus Ende des 19. Jahrhunderts versucht worden sei, den Geist der semitischen Völker im Unterschied zu dem der Indogermanen zu erfassen und abzuwerten. Das Problem besteht nun darin, dass zu den Semiten nicht nur die Juden, sondern auch die Araber gehören.

Die Einsicht: Dann ist der Wortsinn von Antisemitismus Juden- und Araberfeindlichkeit bzw. Juden- und Araberhass?

Herr Großhans: Genau, „Antisemitismus“ darf aber nicht auf Araber angewendet werden. Ein Widerspruch zwischen Wortsinn und Wortbedeutung führt zu Verwirrung.

Die Einsicht: Wieso das denn?

Herr Großhans: Nehmen Sie mal die Kindersprache. Die Kuh heißt Muh, die Katze Miau, der Hund Wauwau, die Ziege Määh. Der Klang der Worte entspricht in etwa den Lauten, den die Tiere von sich geben. Jetzt stellen Sie sich mal vor, gestörte Eltern machten sich einen Spaß und brächten ihren Kindern bei, die Kuh Miau, die Katze Wauwau, den Hund Määh und die Ziege Muh zu nennen. Psychische Schäden wären vorprogrammiert.

Die Einsicht: Kann man unbedenklich den Ausdruck Antisemitismus anwenden, wenn man immer bedenkt, dass Araber nicht damit gemeint sind?

Herr Großhans: Nein, der Begriff des Antisemitismus ist nicht eindeutig definiert. Wir haben die Wörter Judenfeindlichkeit und Judenhass. Diese sind präzise und für den Schutz der Juden völlig ausreichend. „Antisemitismus“ ist dagegen ein Kampfausdruck, mit dem der politische Gegner, auch wenn er ein Freund der Juden ist, verunglimpft werden soll. Er ist wie Fischfarbe [vgl. Anmerkung-2] .

Die Einsicht: Können Sie ein Bespiel nennen?

Herr Großhans: Herr Dr. Michael Wolffsohn, emeritierter Professor an der Bundeswehrschule München hat kürzlich den Begriff des Antiisraelitismus verwendet. Damit meint er eine ablehnende Einstellung zur Politik des Staates Israel. Dann hat er die Behauptung aufgestellt, dass Antiisraelistismus immer auch Antisemitismus sei. Nach der Unlogik des Herr Wolffsohn ist jeder, der die Politik und Kriegsführung des Staates Israel kritisiert, ein Antisemit. Das träfe dann auf einen erheblichen Teil der in Israel lebenden Juden zu.

Die Einsicht: Herr Prof. Dr. Großhans, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.


Anmerkung-1: Die Widersprüchlichkeit wird deutlich, wenn man andere Quelle dazu aufruft:

Semit: Angehöriger einer eine semitische Sprache sprechender Völker (DUDEN, 28. Auflage, S. 1035f.) 

- Antisemitismus: Abneigung oder Feindschaft gegenüber Juden (DUDEN, S. 207), 

- semitische Sprachen: Zweig der afroasiatischen Sprachfamilie - Arabisch, Aramäisch, Amharisch, Hebräisch, Kabylisch, Tigrinya u.a. (https://de.wikipedia.org/wiki/Semitische_Sprachen, 03.01.2024, 17:48)

Anmerkung-2: Während der Verbotszeit vermischten Kommunisten Lackfarbe mit einem Sud aus Abfällen, die in Fischfabriken anfielen. Die so gewonnene Fischfarbe ätzte sich in Betonflächen ein und war nicht mehr wegzukriegen.

Staatsraison und Existenzrecht Israels

Dialogische Mitteilungen aus Wittenberg vom 22.12.2023

Gespräch mit Dr. iur. Wilhelm Rettler

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Seit dem Überfall der Hamas auf Israel vom 7.10.2023 strömt ein bis dahin weitgehend unbekanntes Wort aus den Mündern von Politikern und stürmt die Schlagzeilen, die deutsche Staatsraison (auch „Staatsräson“). Aber was ist das überhaupt. Carlo Masala, Professor an der Universität der Bundeswehr in München sagte dazu: „Es ist nie in Deutschland ausbuchstabiert worden, was das heißt. Wenn man es wirklich ernst meint, dass das Teil der deutschen Staatraison ist, dann hat das moralisch, politisch eine Art Verfassungsrang. Dann bedeutet das, in dem Moment, wo die Existenz Israels auf dem Spiel steht, müsste Deutschland bereit sein, aktiv Israels zu verteidigen. Das ist die logische Konsequenz.“ Die Einsicht sprach darüber mit Herrn Dr. Rettler.

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Die Einsicht: HerrRettler, was halten Sie von der Definition der Staatsraison von Herr Masala?

Herr Rettler: Es ist keine Definition, sondern eine Beschreibung, was für einen bestimmten Fall gilt, wenn die Existenz Israels bedroht ist. Dann müsse Deutschland Israel aktiv verteidigen. Ich kann ihm nicht darin folgen, dass das logisch sein soll.

Die Einsicht: Das müssen Sie erläutern.

Herr Rettler: Angenommen, dass Israel ohne rechtfertigenden Grund in einen Konflikt geraten ist, aus dem es aus eigener Kraft nicht mehr herauskommt.

Die Einsicht: Aber das ist doch nicht vorstellbar.

Herr Rettler: Ich will doch nur ein Gedankenexperiment machen. Kommen Sie mir bitte nicht damit, dass ein Gedankenexperiment gegen die deutsche Staatsraison verstoßen könne. Angenommen es wäre so, also Israel hätte einen Nachbarn völkerrechtswidrig angegriffen und sei nun ins Hintertreffen geraten. Müsste dann die Bundeswehr Israel in seinem Unrechtskrieg Hilfe leisten? Das kann ja wohl nicht wahr sei.

Die Einsicht: Aber gibt es doch die besondere deutsche historische Verantwortung aufgrund des Holocaust.

Herr Rettler: Die besondere deutsche Verantwortung Deutschlands gegenüber den Juden kann die Beteiligung an Verbrechen Israels nicht rechtfertigen. Aber verlassen wir die Ebene des Gedankenexperiments und betrachten den konkreten Krieg gegen Gaza: Die Hamas hat Israel angegriffen. Israel steht ein Selbstverteidigungsrecht zu. Dieses umfasst nicht das Recht zum Völkermord an den Menschen im Gazastreifen. Auch gibt es im Kriegsvölkerrecht kein Recht auf Rache und Vergeltung.

Die Einsicht: Was ist von der Auffassung des Herrn Masala über den moralisch politischen Verfassungsrang der deutschen Staatsraison zu halten?

Herr Rettler: Diese halte ich für abwegig.

Die Einsicht: Wieso das denn, das hört sich doch gut an?

Herr Rettler: Verfassung ist Recht. Verfassungsrang kann nur Recht haben, nicht Moral und nicht Politik.

Die Einsicht: Kommen wir noch auf das Existenzrecht Israels zu sprechen. Darf man darüber diskutiereen oder verstößt man damit gegen die deutsche Staaatsraison?

Herr Rettler: Nach den Grundrechten des Grundgesetzes, Meinungsfreiheit und Wissenschaftsfreiheit, Art. 5 GG, kann man selbstverständlich über das Existenzrecht Israels diskutieren. Dieses lässt sich jedoch nicht bestreiten. Die UNO hat im Jahr 1947 der Gründung des Staates Israel zugestimmt und ihm ein Territorium zugewiesen. Israel hat sich damit jedoch nie zufriedengegeben und sein Gebiet durch Landraub, der von der UNO nie anerkannt worden ist, erweitert. Hinsichtlich dieser Erweiterungsflächen besteht kein Existenzrecht.

Die Einsicht: Herr Rettler, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

Dienstag, 2. Januar 2024

Israelkritik in Deutschland?

Dialogische Mitteilungen aus Wittenberg vom 16.12.2023 

Gespräch mit Dr. jur. Friedrich Strauch, Münster
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Der Gaza-Konflikt polarisiert. Der überwiegende Teil der Medien und die meisten Parteien stellen sich auf die Seite Israels.Es gibt aber auch Bedenken gegen dessen Kriegführung. 
Von Völkermord an der Zivilbevölkerung im Gaza-Streifen ist die Rede. darüber kann heute in Deutschland nicht mehr unbefangen diskutiert werden. Es herrscht ein Klima der Angst. Manche wagen es nicht, kritische Gedanken zu äußern. Sind ihre Befürchtungen, sich strafrechtlicher Verfolgung auszusetzen, begründet? Die Einsicht sprach darüber mit Dr. Strauch.
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Die Einsicht: Herr Dr. Strauch, ist Israelkritik in Deutschland strafbar?

Herr Dr. Strauch: In Deutschland herrscht ein Klima der Angst. Für eine Gesellschaft, die für sich in Anspruch nimmt, eine freiheitliche demokratische zu sein, ist das nicht gut. Mit Angst arbeiten totalitäre Systeme.

Die Einsicht: Sie haben unsere Frage nicht beantwortet.

Herr Dr. Strauch: Gemäß Art. 103 Abs. 2 Grundgesetz kann eine Tat nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. Lateinisch heißt das „nulla poena sine lege“. Ein Strafgesetz, worin stünde, dass Israelkritik strafbar ist, gibt es nicht.

Die Einsicht: Dann braucht jemand, der das Vorgehen der israelischen Armee im Gaza-Streifen kritisiert, keine strafrechtliche Verfolgung zu fürchten?

Herr Dr. Strauch: So einfach ist das nicht. Wenn es auch keine ausdrückliche Strafvorschrift für Israelkritik gibt, so könnten allgemeine Straftatbestände zur Verfolgung von israelkritischen Äußerungen herangezogen werden.

Die Einsicht: Woran denken Sie da?

Herr Dr. Strauch: Man könnte an die Beleidigungstatbestände denken oder an die Volksverhetzung. Es sollte aber juristisch klar sein, dass ein eine freiheitlichen demokratischen Ordnung sachliche Kritik nicht strafbar sein darf.

Die Einsicht: Dann besteht also für Befürchtungen kein Anlass.

Herr Dr. Strauch: Die herrschende Meinung ist ungeheuer stark. Sie versucht, sich beim Umgang mit kritischen Meinungen mit der „besonderen historischen Verantwortung Deutschlands“ zu rechtfertigen. Dieses Argument besagt, dass Israel nicht kritisiert werden darf, weil Hitlerdeutschland sechs Millionen Juden ermordet hat.

Die Einsicht: Aber das stimmt doch.

Herr Dr. Strauch: Ja, aber die Schlussfolgerung verstößt gegen die Denkgesetze, ist mit anderen Worten nicht logisch. Ein Verbrechen, sei es auch noch so groß, kann ein anderes Verbrechen nicht rechtfertigen.

Die Einsicht: Dann kann sachliche Israelkritik unbedenklich geäußert werden?

Herr Dr. Strauch: Nein. Das objektive Recht ist das eine. Seine Anwendung ist das andere. Wenn es gewollt ist, dann gibt es auch immer Bestrebungen, das Recht falsch anzuwenden.

Die Einsicht: Darf das denn in einem Rechtsstaat sein?

Herr Dr .Strauch: Nein, aber es kommt vor. Sein und Sollen können auseinanderfallen. Das nennen die Juristen, wenn der Rechtsanwender vorsätzlich handelt, Rechtsbeugung. Es ist daher nicht ausgeschlossen, dass sachliche Israelkritik strafrechtlich verfolgt wird.

Die Einsicht: Herr Dr. Strauch, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

Antikommunismus heute?

Dialogische Mitteilungen aus Wittenberg vom 31.12.2023

Gespräch mit Dr. Wilhelm Rettler

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Der Antikommunismus war im vergangenen Jahrhundert die herrschende Ideologie, die in der BRD alle Parteien von NPD bis Grüne, ausgenommen die Kommunisten, vereinte. Spielt er heute noch eine Rolle? Darüber sprach die Einsicht mit Herrn Dr. Rettler. Er ist Mitglied der Deutschen Kommunistischen Partei, stammt aus dem Ruhrgebiet und lebt seit 1993 in Wittenberg.

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Die Einsicht:
Lohnt es sich heute noch über Antikommunismus nachzudenken.

Herr Rettler: Unbedingt. Thomas Mann bezeichnete den Antikommunismus als die 
Grundtorheit unserer Epoche. Er ist eine wesentliche Ursache dafür, dass die Kommunisten Probleme haben, die Menschen von ihrer Politik zu überzeugen. Ich habe das beim Sammeln von Unterstützungsunterschriften für die Europawahlen gemerkt. Manche – nicht die Mehrheit – wurden aggressiv, wenn sie Deutsche Kommunistische Partei hörten. Dahinter steht eine antikommunistische Grundhaltung. Der Antikommunismus steckt auch heute noch überall.

Die Einsicht: Was ist denn Antikommunismus überhaupt?

Herr Rettler: Wikipedia definiert ihn als eine politische Grundhaltung, die sich gegen die Theorien, Ideologien, die politischen Bewegungen und Gruppierungen sowie die Herrschaftsform des Kommunismus richtet. Diese Definition ist nicht verkehrt, aber unvollständig.

Die Einsicht: Was fehlt denn?

Herr Rettler: Hass, der Hass auf Kommunisten. Der ist grundsätzlich abzulehnen.

Die Einsicht: Aber die Kommunistische Partei ist doch schwach und auch zumeist nicht in den Parlamenten vertreten. Können da die Ideologen des Antikommunismus nicht ihre Hände in den Schoß legen?

Herr Rettler: Nein, die Kommunisten stellen immer eine Gefahr für die herrschende Kapitalistenklasse dar. Als Marx und Engels ihr Manifest schrieben, gab es nur eine Handvoll Kommunisten in Deutschland. Der Kommunismus war tatsächlich ein Gespenst in Europa. Welch Bewegung ist dann daraus entstanden?

Die Einsicht: Aber 1989/90 sind die sozialistischen Staaten zusammengebrochen.

Herr Rettler: Es würde den Rahmen dieses Gesprächs sprengen, darauf einzugehen, vielleicht in einer späteren Einsicht.

Die Einsicht: Wäre es denn nicht aussichtsreicher sich der Partei die Linke, als Nachfolgerin der SED anzuschließen oder auch der Wagenknecht-Partei.

Herr Rettler: Dies liefe auf eine Kapitulation vor dem Antikommunismus und auf Selbstverleugnung hinaus. Das überlassen wir anderen.

Die Einsicht: Wo wird denn heute noch Antikommunismus verbreitet?

Herr Rettler: Die Medien sind voll davon. Man haut auf die DDR, die wohlgemerkt nach eigenem Verständnis nicht kommunistisch war. Dabei spielen Tatsachenberichte eine untergeordnete Rolle. Weitaus bedeutender sind erfundene Geschichten, insbesondere Krimis und Schmonzetten, in denen Stasileute ihr finsteres Unwesen treiben. Kaum ein im Osten spielender Krimi ohne Stasibezug.
Gegen unwahre Tatsachenbehauptungen könnte man noch juristisch vorgehen, nicht aber gegen diese erfundenen Geschichten. Ihre Wirkung auf das Bewusstsein der Menschen verfehlen sie nicht.

Die Einsicht: Können Sie weitere Beispiele nennen?

Herr Rettler: Ich nenne eins, den frevelhaften Umgang mit den baulichen Hinterlassenschaften der DDR. Wie viele Plattenbauten, die man heute gut gebrauche könnte, wurden sinnlos abgerissen? Abriss des Palastes der Republik, Abriss des Kulturzentrums Maxim Gorki, um ein Beispiel aus Wittenberg zu nennen. Alles aus DDR-Zeiten, an das die Bürger positive Erinnerungen haben, musste und muss vernichtet werden. Das verlangt der Antikommunismus. Da huldigt man lieber dem undemokratischen 
Feudalismus und baut das Berliner Stadtschloss wieder auf.

Die Einsicht: Herr Rettler, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

Verhältnismäßigkeitsprinzip

  Dialogische Mitteilungen aus Wittenberg Nr. 21 aus 2024 vom 29.4.2024 ______________________________________________________________ Gespr...