Dialogische Mitteilungen aus Wittenberg vom 31.12.2023
Gespräch mit Dr. Wilhelm Rettler
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Der Antikommunismus war im vergangenen Jahrhundert die herrschende Ideologie, die in der BRD alle Parteien von NPD bis Grüne, ausgenommen die Kommunisten, vereinte. Spielt er heute noch eine Rolle? Darüber sprach die Einsicht mit Herrn Dr. Rettler. Er ist Mitglied der Deutschen Kommunistischen Partei, stammt aus dem Ruhrgebiet und lebt seit 1993 in Wittenberg.
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Herr Rettler: Unbedingt. Thomas Mann bezeichnete den Antikommunismus als die
Grundtorheit unserer Epoche. Er ist eine wesentliche Ursache dafür, dass die Kommunisten Probleme haben, die Menschen von ihrer Politik zu überzeugen. Ich habe das beim Sammeln von Unterstützungsunterschriften für die Europawahlen gemerkt. Manche – nicht die Mehrheit – wurden aggressiv, wenn sie Deutsche Kommunistische Partei hörten. Dahinter steht eine antikommunistische Grundhaltung. Der Antikommunismus steckt auch heute noch überall.
Die Einsicht: Was ist denn Antikommunismus überhaupt?
Herr Rettler: Wikipedia definiert ihn als eine politische Grundhaltung, die sich gegen die Theorien, Ideologien, die politischen Bewegungen und Gruppierungen sowie die Herrschaftsform des Kommunismus richtet. Diese Definition ist nicht verkehrt, aber unvollständig.
Die Einsicht: Was fehlt denn?
Herr Rettler: Hass, der Hass auf Kommunisten. Der ist grundsätzlich abzulehnen.
Die Einsicht: Aber die Kommunistische Partei ist doch schwach und auch zumeist nicht in den Parlamenten vertreten. Können da die Ideologen des Antikommunismus nicht ihre Hände in den Schoß legen?
Herr Rettler: Nein, die Kommunisten stellen immer eine Gefahr für die herrschende Kapitalistenklasse dar. Als Marx und Engels ihr Manifest schrieben, gab es nur eine Handvoll Kommunisten in Deutschland. Der Kommunismus war tatsächlich ein Gespenst in Europa. Welch Bewegung ist dann daraus entstanden?
Die Einsicht: Aber 1989/90 sind die sozialistischen Staaten zusammengebrochen.
Herr Rettler: Es würde den Rahmen dieses Gesprächs sprengen, darauf einzugehen, vielleicht in einer späteren Einsicht.
Die Einsicht: Wäre es denn nicht aussichtsreicher sich der Partei die Linke, als Nachfolgerin der SED anzuschließen oder auch der Wagenknecht-Partei.
Herr Rettler: Dies liefe auf eine Kapitulation vor dem Antikommunismus und auf Selbstverleugnung hinaus. Das überlassen wir anderen.
Die Einsicht: Wo wird denn heute noch Antikommunismus verbreitet?
Herr Rettler: Die Medien sind voll davon. Man haut auf die DDR, die wohlgemerkt nach eigenem Verständnis nicht kommunistisch war. Dabei spielen Tatsachenberichte eine untergeordnete Rolle. Weitaus bedeutender sind erfundene Geschichten, insbesondere Krimis und Schmonzetten, in denen Stasileute ihr finsteres Unwesen treiben. Kaum ein im Osten spielender Krimi ohne Stasibezug.
Gegen unwahre Tatsachenbehauptungen könnte man noch juristisch vorgehen, nicht aber gegen diese erfundenen Geschichten. Ihre Wirkung auf das Bewusstsein der Menschen verfehlen sie nicht.
Die Einsicht: Können Sie weitere Beispiele nennen?
Herr Rettler: Ich nenne eins, den frevelhaften Umgang mit den baulichen Hinterlassenschaften der DDR. Wie viele Plattenbauten, die man heute gut gebrauche könnte, wurden sinnlos abgerissen? Abriss des Palastes der Republik, Abriss des Kulturzentrums Maxim Gorki, um ein Beispiel aus Wittenberg zu nennen. Alles aus DDR-Zeiten, an das die Bürger positive Erinnerungen haben, musste und muss vernichtet werden. Das verlangt der Antikommunismus. Da huldigt man lieber dem undemokratischen
Feudalismus und baut das Berliner Stadtschloss wieder auf.
Die Einsicht: Herr Rettler, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.
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