Montag, 29. April 2024

Verhältnismäßigkeitsprinzip

 Dialogische Mitteilungen aus Wittenberg Nr. 21 aus 2024 vom 29.4.2024

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Gespräch mit Herrn Dr. iur. Wilhelm Rettler, Wittenberg
Das Gaza-krieg lässt uns nicht los. Zuweilen wird die Frage aufgeworfen, ob und inwieweit das Vorgehen Israels dem Verhältnismäßigkeitsprinzip entspricht. Die Einsicht sprach darüber mit Herrn Rettler.
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Die Einsicht: HerrRettler, was besagt das Verhältnismäßigkeitsprinzip?

Herr Rettler: Bevor ich dies erläutere, möchte ich auf die überholte und grausame Maxime, der Zweck heiligt die Mittel, eingehen. Damit kann man alles rechtfertigen: Ich setzte mir einen bestimmten Zweck und damit ist alles in Ordnung, was ich zur Erreichung dieses Zweckes tue.

Die Einsicht: Wo liegt der Unterschied zum Verhältnismäßigkeitsprinzip?
 
Herr Rettler: Das Verhältnismäßigkeitsprinzip gilt für die Ausübung aller staatlichen Gewalt. 
Es findet auch im europäischen echt Anwendung. Auch hier geht es um Zweck und Mittel. Die
Beurteilung ist aber differenzierter. Zunächst muss ein legitimer Zweck verfolgt werden. Dann ist zu fragen, ob das eingesetzte Mittel geeignet ist, den angestrebten Zweck zu erreichen. Schließlich ist zu fragen, ob das Mittel erforderlich ist, um den Zweck zu erreichen. Dies ist nicht der Fall, wenn ein milderes Mittel zur Verfügung steht. Letztlich kommt es darauf an, ob die Maßnahme im engeren Sinne verhältnismäßig ist. Dies ist zu verneinen, wenn die Nachteile, die mit der Maßnahme verbunden sind, außer Verhältnis zu den Vorteilen stehen, die sie bewirkt.

Die Einsicht:
Gilt das Verhältnismäßigkeitsprinzip auch im Staat Israel?

Herr Rettler: Ich kenne mich im israelischen Recht nicht aus, die staatliche Praxis gibt aber Anlass, dies zu bezweifeln. Die israelische Regierung könnte denken, dass dem Staate Israel aufgrund der Festlegungen des Alten Testaments das gesamte Land zwischen Mittelmeer und Jordan zustehe, und sie sich das Land rücksichtslos zurückholen könnte. Die Vertreibung aller Palästinenser aus Gaza ist aber ist mit Sicherheit kein legitimer Zweck im Sinne des Verhältnismäßigkeitsprinzips, noch weniger die physische Auslöschung der gesamten palästinensischen Bevölkerung.

Die Einsicht: Gilt das Verhältnismäßigkeitsprinzip nur im Bereich des Rechts?

Herr Rettler: Ich verstehe Ethik als die Lehre vom richtigen Handeln. Ich bin der Auffassung, 
dass das Verhältnismäßigkeitsprinzip auch im außerrechtlichen Bereich Anwendung finden kann.

Die Einsicht: Herr Rettler wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

Sonntag, 21. April 2024

Repressalien gegen Israelkritik

Dialogische Mitteilungen aus Wittenberg Nr. 20 v0m 24.03.2024

 Gespräch mit Herrn Dr. jur. Friedrich Strauch, Münster 

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Am 16.12.2024 haben wir mit Herrn Dr. Strauch über die Möglichkeit von Strafverfolgungsmaßnahmen gegen israelkritische Äußerungen in Deutschland gesprochen. Herr Strauch hat die Auffassung vertreten, dass strafrechtliche Maßnahmen gegen sachliche Israelkritik objektivrechtlich nicht möglich sind, mit ihnen aber gerechnet werden muss, wenn Rechtsbeugung zur Anwendung kommt. Kürzlich ist ein Fall von verwaltungsrechtlichen Maßnahmen zu verzeichnen gewesen. Hierüber sprach die Einsicht mit Herrn Strauch. 

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Die Einsicht: Herr Strauch, von welchem verwaltungsrechtlichen Fall sprechen wir? 

Herr Strauch: Vor zwei Wochen wollte der Verein „Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost“ einen Kongress in Berlin durchführen. Um eine rechtliche Handhabe für das beabsichtigte Verbot zu schaffen, definierten die Behörden die geplante Saalveranstaltung um und behaupteten, es handelte sich um eine öffentliche Versammlung, weil sich vor dem Kongressgebäude eine Warteschlange gebildet hatte. 

Die Einsicht: Was ist von dieser Argumentation zu halten. 

Herr Strauch: Für mein Verständnis ist das hinterf… 

Die Einsicht: Ist das denn nicht auch Rechtsbeugung? 

Herr Strauch: Das ist wohl nicht der Fall, weil die Voraussetzungen des § 356 StGB nicht gegeben sind. Aus Platzgründen kann ich das hier nicht weiter ausführen. 

Die Einsicht: Ist es denn möglich, dagegen noch irgendetwas machen? 

Herr Strauch: Die UZ titelte, dass der Rechtsweg ausgeschlossen sei. Das könnte aber etwas ungenau sein. Richtig ist, dass effektiver Rechtsschutz aufgrund der Kürze der Zeit nicht mehr gegeben war. Es gibt aber wohl die Möglichkeit der sogenannten Fortsetzungsfeststellungsklage. Damit kann man beim Verwaltungsgericht die Feststellung beantragen, dass ein vollzogener Verwaltungsakt rechtswidrig war.

 Die Einsicht: Sollten die Veranstalter dies Weg gehen? 

Herr Strauch: Das ist natürlich mit einem Kostenrisiko verbunden. 

Die Einsicht: Wie bewerten diesen Vorgang im Gesamtzusammenhang von Maßnahmen gegen Israelkritik? 

Herr Strauch: Rechtswidrige straf- und polizeirechtliche Maßnahmen sind zwei Seiten derselben Medaille. Es geht um die rechtswidrige Einschränkung der grundrechtlichen geschützten Meinungsäußerungs- und Versammlungsfreiheit. Besonders bedenklich ist diese Entwicklung vor dem Hintergrund der „Staatsräsontheorie“, die so interpretiert wird, als habe sich die deutsche Politik immer der aktuellen politischen Linie Israels zu folgen haben. Das läuft darauf hinaus, Israel die Macht einzuräumen, die deutsche Politik zu bestimmen. Das ist mit der Souveränität der Bundesrepublik und dem Demokratieprinzip nicht vereinbar. 

Die Einsicht: Herr Strauch, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

Verhältnismäßigkeitsprinzip

  Dialogische Mitteilungen aus Wittenberg Nr. 21 aus 2024 vom 29.4.2024 ______________________________________________________________ Gespr...