Dienstag, 2. Januar 2024

Israelkritik in Deutschland?

Dialogische Mitteilungen aus Wittenberg vom 16.12.2023 

Gespräch mit Dr. jur. Friedrich Strauch, Münster
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Der Gaza-Konflikt polarisiert. Der überwiegende Teil der Medien und die meisten Parteien stellen sich auf die Seite Israels.Es gibt aber auch Bedenken gegen dessen Kriegführung. 
Von Völkermord an der Zivilbevölkerung im Gaza-Streifen ist die Rede. darüber kann heute in Deutschland nicht mehr unbefangen diskutiert werden. Es herrscht ein Klima der Angst. Manche wagen es nicht, kritische Gedanken zu äußern. Sind ihre Befürchtungen, sich strafrechtlicher Verfolgung auszusetzen, begründet? Die Einsicht sprach darüber mit Dr. Strauch.
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Die Einsicht: Herr Dr. Strauch, ist Israelkritik in Deutschland strafbar?

Herr Dr. Strauch: In Deutschland herrscht ein Klima der Angst. Für eine Gesellschaft, die für sich in Anspruch nimmt, eine freiheitliche demokratische zu sein, ist das nicht gut. Mit Angst arbeiten totalitäre Systeme.

Die Einsicht: Sie haben unsere Frage nicht beantwortet.

Herr Dr. Strauch: Gemäß Art. 103 Abs. 2 Grundgesetz kann eine Tat nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. Lateinisch heißt das „nulla poena sine lege“. Ein Strafgesetz, worin stünde, dass Israelkritik strafbar ist, gibt es nicht.

Die Einsicht: Dann braucht jemand, der das Vorgehen der israelischen Armee im Gaza-Streifen kritisiert, keine strafrechtliche Verfolgung zu fürchten?

Herr Dr. Strauch: So einfach ist das nicht. Wenn es auch keine ausdrückliche Strafvorschrift für Israelkritik gibt, so könnten allgemeine Straftatbestände zur Verfolgung von israelkritischen Äußerungen herangezogen werden.

Die Einsicht: Woran denken Sie da?

Herr Dr. Strauch: Man könnte an die Beleidigungstatbestände denken oder an die Volksverhetzung. Es sollte aber juristisch klar sein, dass ein eine freiheitlichen demokratischen Ordnung sachliche Kritik nicht strafbar sein darf.

Die Einsicht: Dann besteht also für Befürchtungen kein Anlass.

Herr Dr. Strauch: Die herrschende Meinung ist ungeheuer stark. Sie versucht, sich beim Umgang mit kritischen Meinungen mit der „besonderen historischen Verantwortung Deutschlands“ zu rechtfertigen. Dieses Argument besagt, dass Israel nicht kritisiert werden darf, weil Hitlerdeutschland sechs Millionen Juden ermordet hat.

Die Einsicht: Aber das stimmt doch.

Herr Dr. Strauch: Ja, aber die Schlussfolgerung verstößt gegen die Denkgesetze, ist mit anderen Worten nicht logisch. Ein Verbrechen, sei es auch noch so groß, kann ein anderes Verbrechen nicht rechtfertigen.

Die Einsicht: Dann kann sachliche Israelkritik unbedenklich geäußert werden?

Herr Dr. Strauch: Nein. Das objektive Recht ist das eine. Seine Anwendung ist das andere. Wenn es gewollt ist, dann gibt es auch immer Bestrebungen, das Recht falsch anzuwenden.

Die Einsicht: Darf das denn in einem Rechtsstaat sein?

Herr Dr .Strauch: Nein, aber es kommt vor. Sein und Sollen können auseinanderfallen. Das nennen die Juristen, wenn der Rechtsanwender vorsätzlich handelt, Rechtsbeugung. Es ist daher nicht ausgeschlossen, dass sachliche Israelkritik strafrechtlich verfolgt wird.

Die Einsicht: Herr Dr. Strauch, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

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