Freitag, 21. Juni 2024

Verschwörungstheoretiker und Dysphemismen

Dialogische Mitteilungen aus Wittenberg Nr. 30 vom 21.6.2024

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Unser Leser Dipl.-Phil. Johannes Schnell aus Stuttgart1 hat sich dagegen gewandt, Herrn Dr. Daniele Ganser zur Kriegspolitik der Amerikaner zu zitieren (Einsicht Nr. 29). Herr Ganser sei ein Verschwörungstheoretiker und gelte in weiten Teilen des deutschen Bildungsbürgertums als persona non grata. Darüber sprach die Einsicht mit Herrn Prof. Dr. phil. Emil Großhans, emeritierter Professor für Linguistik an der Ruhr-Universität, Bochum2

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Die Einsicht: Herr Großhans, was ist eine Verschwörungstheorie?

Herr Großhans: Da müssen wir zuerst klären, was eine Theorie ist. Vereinfacht gesagt enthält eine Theorie Aussagen über einen Bereich der Wirklichkeit. Eine Verschwörungstheorie ist nach der Vorstellung der Verfechter dieses Ausdrucks immer unwahr und wird von den Verschwörungstheoretikern vertreten, obwohl sie durch eindeutige wissenschaftliche Belege widerlegt ist.

Die Einsicht: Was halten Sie von den Begriffen Verschwörungstheorie und Verschwörungstheoretiker?

Herr Großhans: Das sind keine Begriffe, sondern Ausdrücke, Wörter. Sie sind überflüssig.

Die Einsicht: Wie das?

Herr Großhans: Entweder ist eine Theorie falsch, dann muss man das sagen. Die Bezeichnung eines Menschen als Verschwörungstheoretiker ist ein Angriff gegen die Person und damit unsachlich. Genauso ist es, wenn gegen eine bestimmte Theorie die sexuelle Orientierung ihres Verfassers ins Feld geführt wird. Jemanden, der unbestreitbar wahre Tatsachen erklärt, wie im Falle von Herrn Ganser und der Einsicht, als Verschwörungstheoretiker zu titulieren, weil er sich angeblich anderweitig an Verschwörungstheorien beteiligt hat, ist dysphemistisch.

Die Einsicht: Was ist das denn schon wieder?

Herr Großhans: Ein Dysphemismus ist ein Wort mit herabsetzender, ehrabschneidender Nebenbedeutung, man sagt auch Totschlagausdruck. Mit dem, der als Verschwörungstheoretiker abgestempelt ist, braucht man sich inhaltlich nicht mehr auseinanderzusetzen - meint man.

Die Einsicht: Und was ist eine persona non grata?

Herr Großhans: Eine unerwünschte Person. Mit der braucht man sich auch nicht auseinandersetzen - meint man.

Die Einsicht: Können Sie auch dafür ein Beispiel nennen?

Herr Großhans: Der Herausgeber der Einsicht ist so eine Person, weil er Kommunist ist. Seine Zuschriften und Mitteilungen werden von der Presse grundsätzlich nicht abgedruckt.

Die Einsicht: Herr Großhans, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

Montag, 3. Juni 2024

Tatbestandswidrigkeit indiziert Rechtswidrigkeit

 Dialogische Mitteilungen aus Wittenberg Nr. 27 vom 3.6.2024

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Wer über den Ukraine-Krieg spricht, sagt normalerweise dabei, dass es sich um einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg handelt. Für die Freunde der Ukraine versteht sich das von selbst. Es gibt aber Menschen, die sich für einen Frieden in der Ukraine einsetzen, aber trotzdem betonen, dass es sich aus Sicht Russlands um einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg handelt. In den letzten Tagen haben wir so Sevim Dagdelen, Daniele Ganser und Oskar Lafontaine gehört. Darüber sprechen wir mit Herr Dr. jur. Friedrich Strauch.

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Die Einsicht: Herr Strauch, darf man in Deutschland über den Ukraine-Krieg sprechen, ohne zu betonen, dass es sich um einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg handelt?

Herr Strauch: Normalerweise kann so etwas in Deutschland nicht strafbar sein, aber das Meinungsstrafrecht ist in Deutschland erheblich in Bewegung geraten. Am Ende spielt die Meinungsfreiheit keine Rolle mehr. Dieses Ende hat dann mit einer freiheitlichen demokratischen Ordnung nichts mehr zu tun. Spannender ist die Frage, ob man in Deutschland sagen darf, dass der Krieg Russlands gegen die Ukraine kein völkerrechtswidriger Angriffskrieg war.

Die Einsicht: Und wie stehen Sie dazu?

Herr Strauch: Ich will der Frage ausweichen und zunächst auf die Überschrift dieses Interviews eingehen: Tatbestandsmäßigkeit indiziert Rechtswidrigkeit.

Die Einsicht: Wir haben diese Überschrift auf Ihren Wunsch hin gewählt, was bedeutet sie?

Herr Strauch: Unseren nicht juristischen Lesern ist zu sagen, dass in der theoretischen Konstruktion eines Verbrechens an erster Stelle der Tatbestand steht. Sind die tatsächlichen Erfordernisse eines Tatbestandes erfüllt, dann sagt man, dass die Rechtswidrigkeit der Handlung indiziert ist. Das bedeutet nicht zwangsläufig, dass die Handlung rechtswidrig ist, insbesondere nicht, wenn Rechtfertigungsgründe vorliegen.

Die Einsicht: Sie meinen also, Russland könnte angegriffen, aber gleichzeitig Rechtfertigungsgründe gehabt haben?

Herr Strauch: Im Tatsächlichen ist mir da vieles unklar. Für die russische Seite wird u.a. geltend gemacht, dass die ukrainische Regierung im Jahre 2014 durch einen von den USA initiierten Putsch an die Macht gekommen ist, die ukrainische Regierung einen Bürgerkrieg gegen die Bevölkerung im Don-Bas mit 14.000 Toten Zivilisten geführt hat. Ich sage nicht, dass der Krieg Russlands juristisch gerechtfertigt war, weil mir für eine solche Erklärung die notwendigen Detailkenntnisse fehlen.

Die Einsicht: Herr Strauch, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

Sonntag, 2. Juni 2024

Höcke zwo

 Dialogische Mitteilungen aus Wittenberg Nr. 25 vom 25.5.2024

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In der letzten Einsicht haben wir mit Herrn Rettler über das Höcke-Urteil gesprochen. Dagegen haben unsere Leser Johannes Schnell aus Stuttgart1 und Franz Bauer aus Sonneberg2 Protest erhoben. Über ihre Einwendungen sprachen wir mit Herrn Rettler.

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Die Einsicht: Herr Rettler. Sie haben gesagt, dass es darum geht, ob Herr Höcke die streitgegenständlichen Worte im Wissen und Wollen, dass es sich um eine Parole der SA gehandelt hat, verwendet hat. Das Bestreiten des Herrn Höcke sei nicht abwegig. Herrn Schnell hat darauf erwidert, er sei davon überzeugt, dass Herr Höcke diesen SA-Spruch in vollem Wissen benutzt hat. Zu behaupten, den Spruch bzw. dessen Herkunft nicht gekannt zu haben, sei eine der lächerlichsten und unglaubwürdigsten Aussagen, die er jemals gehört habe. Wollen Sie an Ihrer Einschätzung festhalten?

Herr Rettler: Ich habe mich zugegebenermaßen von der Verteidigung des Herrn Höcke in Boxhorn jagen lassen. Die ist immer darauf herumgeritten, dass die Parole bereits vor den Nazis verwendet worden ist, u.a. von einer sozialdemokratischen Organisation. Dann habe ich gesagt, wenn Herr Höcke ohne Vorsatz gehandelt hätte, dann wäre das Urteil rechtswidrig. Jetzt sehe ich die Dinge anders.

Die Einsicht: Was ist denn neu.

Herr Rettler: In der öffentlichen Diskussion ist ein wesentlicher strafrechtlicher Gesichtspunkt außer Betracht geblieben, der bedingte Vorsatz.

Die Einsicht: Was ist das denn?

Herr Rettler: Der bedingte Vorsatz liegt vor, wenn der Täter die Tatbestandsverwirklichung weder anstrebt noch für sicher, sondern für möglich hält und billigend in Kauf nimmt.

Die Einsicht: Das hört sich alles etwas kompliziert an.

Herr Rettler: Der Spruch Alles ... ist typischer Nazijargon. Das wusste Herr Höcke, als er ihn in den Mund nahm. Also hat er mit bedingtem Vorsatz gehandelt.

Die Einsicht: Herr Schnell hat Ihnen eine fehlerhafte Bezugnahme auf den kategorischen Imperativ vorgeworfen.

Herr Rettler: Das sehe ich nicht so. Ich habe gesagt, dass ich rechtswidrige Urteile auch dann schlecht finde, wenn sie gegen den politischen Gegner ergangen sind.

Die Einsicht: HerrBauer hat die Verwendung des Begriffs Rechtsstaat beanstandet. Es sei ein Begriff des Klassengegners.

Herr Rettler: Da muss ich zuerst Widerspruch gegen die Verwendung des Wortes „Begriff“ erheben. Das kann ich aber an dieser Stelle nicht weiter vertiefen. Richtig ist, dass der Begriff des Rechtsstaates ideologisch aufgeladen ist und zur Aufrechterhaltung der kapitalistischen Klassenverhältnisse gebraucht wird. Das sollte uns aber nicht davon abhalten, vom bürgerlichen Staat unsere bürgerlichen und demokratischen Rechte einzufordern. Illusionen dürfen wir uns dabei nicht machen.

Die Einsicht: Wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

Selbstverteidigungsrecht

 Die Einsicht Dialogische Mitteilungen aus Wittenberg Nr. 57 aus 24 vom 28.10.2024 _________________________________________________________...